Wenn die Blätter sich in schillernde Gold- und Kupfertöne kleiden und die Luft einen Hauch von Erde und Pilzen trägt, dann weiss der Feinschmecker: Jetzt beginnt die schönste Zeit des Jahres – die Wildsaison. Wildbret, wie es traditionsbewusst heisst, ist nicht nur eine kulinarische Spezialität, sondern Ausdruck einer Esskultur, die eng mit Natur und Jahreszeiten verbunden ist. Hirsch, Reh, Wildschwein oder Hase – sie alle verkörpern den Geschmack des Walds. Doch wie gelingt es, diesen Geschmack in der Küche zu veredeln, ohne ihn zu verfälschen?
Text: Beat Frei | Fotos: Adobe Stock
Grundregel Nummer eins: Weniger ist mehr. Wild verträgt keine Überwürzung. Die grosse Kunst der Wildküche liegt darin, das Eigene des Fleischs nicht zu überdecken. Schweren, dunkel angerührten Saucen mit literweise Rotwein und Sahne darf man getrost misstrauen – sie erdrücken mehr, als dass sie umschmeicheln. Stattdessen empfiehlt sich ein reduzierter Ansatz: ein Fond aus Wildknochen, etwas Wurzelgemüse, ein Hauch Preiselbeere für die süsssäuerliche Note, dazu ein kräftiger Schuss Madeira oder Port. Schon ist der perfekte Begleiter geboren.
Wichtig: Wild verträgt schonendes Garen besser als aggressive Hitze. Ein Rehrücken beispielsweise liebt den Ofen bei niedriger Temperatur, knapp über 80 Grad, bis er im Inneren rosa glänzt. Ein Hirschragout hingegen darf lange, sehr lange schmoren, bis das Fleisch butterweich zerfällt. Kurzgebratenes wie Wildschweinmedaillons profitieren von kräftigem Anbraten und einer Ruhephase im Ofen – so bleibt das Aroma saftig und präsent.
Die gute Nachricht: Man muss nicht mehr alles «entschärfen». Das Einlegen von Wild in Buttermilch oder Rotwein, wie es früher üblich war, um angeblichen «strengen» Geschmack zu mildern, ist passé. Frisch geschossenes, korrekt abgehangenes Wild hat keine Spur von Muff. Ebenso überflüssig wie schon vorne erwähnt: das Überwürzen. Wer Hirsch mit Knoblauch, Zimt, Sternanis und zehn Pfeffersorten übergiesst, zeigt eher Unsicherheit als Kochkunst. Weniger ist hier ganz eindeutig mehr. Man soll dem Wild den einzigartig edlen Geschmack lassen, den es hat.
«Wer Hirsch mit Knoblauch, Zimt, Sternanis und zehn Pfeffersorten übergiesst, zeigt eher Unsicherheit als Kochkunst.»
Natürlich gehören klassische Begleiter dazu: Spätzli, Polenta, Rotkraut – aber bitte selbstgemacht – Maroni und natürlich frische Pilze. Aber auch moderne Interpretationen sind willkommen. Selleriepüree mit Trüffelöl, karamellisierte Birnen – nicht für jeden geeignet, aber das ist eben Geschmacksache – oder ein Salat aus lauwarmen Linsen setzen spannende Kontraste. Wichtig ist, dass die Beilage nicht in Konkurrenz tritt, sondern dem Wild eine Bühne bereitet – wie ein guter Dirigent seinem Solisten.
Nun könnte man sagen: Wer kein Fleisch mag, dem bleibt nur Salat. Doch weit gefehlt. Auch Vegetarier können im Herbst den Zauber eines Wildgerichts erleben – ganz ohne Jagdschein. Denken wir an Pilze, die «Fleischstücke des Walds». Ein Ragout aus Steinpilzen, Pfifferlingen und Kräuterseitlingen, geschmort mit Schalotten, Wurzelgemüse und einem Schuss Portwein, kann sich in Sachen Tiefe und Würze durchaus mit einem klassischen Hirschragout messen. Serviert mit Spätzle oder Polenta entsteht eine vegetarische Variante, die so überzeugend ist, dass selbst eingefleischte Jäger kurz innehalten. Ein Spritzer Preiselbeeren dazu und man fühlt sich mitten im Forst. Alternativ: Steinpilze oder Maronenröhrlinge, das sind wahre Aromatiere. In Butter und Knoblauch gebraten, mit einem Hauch Wacholder und auch hier mit Portwein abgelöscht, entfalten sie eine Tiefe, die der von Rehfilet erstaunlich nahekommt. Dazu ein Selleriepüree, knusprige Maronen und eine Sauce aus Rotwein, Schalotten und Kräutern: voilà, ein «vegetarisches Wildgericht», das den Esprit des Herbsts einfängt, ohne Tier auf dem Teller. Einfach köstlich.
Manche Gourmets sagen, Wild sei die «Champions League» des Herbsts. Doch seien wir ehrlich: Ein schlecht gebratener Rehrücken ist kein Aufstiegsspiel, sondern höchstens Regionalliga. Wer sich aber Zeit nimmt, Respekt vor dem Produkt hat und es nicht in Saucen ertränkt, der spielt ganz vorne mit.
Und sollte Ihnen beim nächsten Bissen doch ein Stückchen Wacholderbeere zwischen den Zähnen knacken – betrachten Sie es als charmanten Hinweis darauf, dass die Natur sich nicht ganz domestizieren lässt.
Wild ist weit mehr als nur ein saisonaler Gaumenschmaus. Es ist das kulinarische Echo des Walds, ein Fest der Sinne, das Tradition und Moderne mühelos verbindet. Ob als butterzarter Rehrücken, herzhaftes Hirschragout oder vegetarisches Pilzragout – wer Wild bewusst zubereitet, erlebt nicht nur Herbstgenuss, sondern wahre Esskultur. Genau das macht die Jagd nach dem guten Geschmack so lohnenswert.