Wenn die Polizei ausrückt, steht erstens meist nichts Gutes an und zweitens schauen alle genau hin. Das weiss Judith Hödl als Medienchefin der Stadtpolizei Zürich nur zu gut. Dennoch ist sie überzeugt, dass sie den spannendsten Job der Schweiz ausüben darf. Warum, erklärt sie im Gespräch mit SEESICHT.
Interview: Claudio Brentini | Fotos: zvg
Das ist in einer Stadt wie Zürich praktisch nie der Fall. Zudem erhalten wir jeden Tag viele Medienanfragen zu Unfällen, verschiedenen Einsätzen, Veranstaltungen, Interviewanfragen mit Spezialisten, Anfragen für Reportagen und vielem mehr. Hinzu kommen Sitzungen für den Austausch und Besprechungen von Veranstaltungen, Fussballspielen oder Demos. Langweilig wird uns also nie.
Ein gutes Beispiel. Diese unbewilligte Aktion im Mai 2024, hinter der ein TikTok-User stand und bei der ein Zwölfjähriger schwer verletzt wurde, löste eine Flut von Medienanfragen aus. War das Ganze bewilligt? Wurden weitere Personen verletzt? War das Geld echt? Dürfen Drohnen überhaupt über Menschen fliegen und vieles mehr. Das beschäftigte uns den ganzen Tag.
Das hat alles verändert. Früher gab es die Polizeiberichterstatter, die sehr gut Bescheid wussten über unsere Arbeit, heute müssen wir grundsätzlich viel mehr erklären. Vor allem aber hat sich das Tempo enorm erhöht, auch mit den sogenannten Leserreportern oder Newsscouts, wie man sie aktuell nennt. Sofort sind Bilder und -Videos online, manchmal noch bevor wir selbst Kenntnis von einem Vorfall haben.
So etwas geht natürlich besonders schnell viral. Vielleicht sprechen Sie den Fall mit einer Frau an, die anlässlich einer unbewilligten Demonstration vor rund einem Jahr angeblich von einem Polizisten scheinbar grundlos geschlagen worden ist. Hier wurde, bevor man mit uns Kontakt aufgenommen hat, bereits die Schlagzeile «Rambopolizist» veröffentlicht. In einem solchen Fall interveniere ich sofort, denn ich erwarte von professioneller Medienarbeit, dass auch unsere Sichtweise oder Stellungnahme veröffentlicht wird.
Dann muss man dazu stehen und das auch so benennen. Die Wahrheit kommt eh ans Licht, das wissen unsere Polizistinnen und Polizisten ebenfalls und wenn etwas nicht gut gelaufen ist, kann und will ich es nicht schönreden. Ich benötige aber immer Zeit, mit den Betroffenen zu reden, denn was ich sage, muss korrekt sein. Glaubwürdigkeit ist das höchste Gebot.
Zunächst einmal sind sie sich dessen bewusst und es ist legitim, dass sie beobachtet werden. Man darf und soll sehen, wie wir arbeiten und dass wir gut arbeiten. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Vorfall beim Sechseläutenumzug, als Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten sich mit einer schwarzen Flüssigkeit übergossen haben. Die Polizei war vor Ort und konnte sofort reagieren. Tage später beklagte sich einer der Aktivisten, er sei von der Polizei nicht korrekt behandelt worden. Die vielen Handy-Aufnahmen vom Vorfall bewiesen aber das Gegenteil. So gesehen waren die Aufnahmen für uns hilfreich und sorgten dafür, dass viele Leserkommentare sich auf die Seite der Polizei stellten.
«Es ist der spannendste Job der Schweiz.»
Judith Hödl
Wenn sich jemand gegen eine Verhaftung wehrt, müssen wir unseren Auftrag dennoch ausführen und sind berechtigt, im Rahmen der Verhältnismässigkeit Gewalt anzuwenden. Das sieht nie schön aus.
Natürlich. Tödliche Verkehrs- oder Arbeitsunfälle zum Beispiel. Man geht morgens aus dem Haus und kehrt nicht zurück, das ist schon etwas, was mich auch persönlich beschäftigt.
Genau. Die Tierpflegerin wurde von einem Tiger getötet. Das ging durch alle Medien und war in der Tat einer dieser Fälle, die mich noch lange beschäftigt haben.
Selbstverständlich und ich denke, man sieht mir schon an, wenn mich etwas trifft und bewegt. Dennoch muss ich funktionieren, das ist mein Job, meine Aufgabe. Das geht nicht nur mir so. Ich habe auch schon erlebt, dass Journalisten an einem Ereignisort Tränen in den Augen hatten.
Es ging um den tragischen Tod eines Fünfjährigen auf dem Escher-Wyss-Platz, das war im Dezember 2022. Das sind die Momente, die für alle kaum zu ertragen sind.
Das lässt sich nicht vermeiden und ich -vergesse diese nie. Wichtig ist, einen Ausgleich zu haben, Abstand zu gewinnen. Ich bewege mich gerne, lese viel.
Tatsächlich, ja. Immer noch gerne.
Sehr sogar. Ich weiss genau, was unsere Polizistinnen und Polizisten auf der Strasse erleben, wie sie sich fühlen. Zudem habe ich einiges erlebt in meiner Zeit bei der Kriminalpolizei. Nach fünf Jahren beim Kinderschutz spürte ich, dass ich eine Veränderung brauchte, und war froh, mich bei der Medienstelle bewerben zu können.
(lacht) Nein, absolut nicht. Mich hat die Medienarbeit generell von Anfang an fasziniert.
Ich habe sehr viel gelernt von ihm. Für mich war klar, als ich dann seine Nachfolge antreten durfte, dass ich ihn nicht kopieren wollte oder konnte. Ich wollte mir selbst treu sein und habe dies von Anfang an so gehandhabt. Das klappt aber auch nur, wenn man ein gutes Team um sich hat.
Wenn Sie negative Erlebnisse ansprechen, dann muss ich betonen, dass ich persönlich bisher nie solche erlebt habe. Natürlich waren wir Frauen damals, als ich anfing, klar in der Minderheit, aber das hat sich mittlerweile geändert. Dennoch erinnere ich mich daran, dass es damals Polizisten gab, die keine weiblichen Aspirantinnen im Praktikum zugeteilt erhalten wollten.
(lacht) Nein, das nicht. Aber wie gesagt, das hat sich verändert. Viele, die vorher skeptisch waren, haben zum Beispiel erkannt, dass eine gemischte Patrouille für viele Situationen durchaus Vorteile haben kann.
Man muss genau aufpassen, was man schreibt, denn es gibt wohl keinen anderen Ort in der Schweiz, wo derart genau hingeschaut wird. Sogar bei aus unserer Sicht positiven Meldungen müssen wir sehr vorsichtig sein, um niemanden blosszustellen oder zu beleidigen.
Mit über 100 000 Followern ist da tatsächlich viel los. Sogar ein unverfänglicher Titel kann viele Reaktionen auslösen. Früher musste man einen Brief schreiben, diesen auf die Post bringen und auf Antwort warten. Heute kann jeder und jede sofort und ganz simpel kommentieren, das ist eine echte Herausforderung. Daher betreuen mehrere Personen diese Aufgabe und informieren uns auch, falls ein Thema für uns wichtig werden könnte. Der Austausch ist essenziell, genauso wie die Teamarbeit.
Tiere und Pflanzen. Das Video, als jemand eine Katze misshandelte, ging wochenlang viral. Wird jemand tätlich angegriffen, ist das hingegen oft schnell wieder vergessen. Wird aber zum Beispiel ein Baum mutwillig beschädigt, gibt das ein riesiges Echo.
Im Gegenteil. Vergangenes Jahr verzeichneten wir eine Zunahme von 30 Prozent und der Trend geht in diese Richtung weiter. Das ist umso erstaunlicher, als dass zum Beispiel Anfragen von Radiostationen seltener geworden sind.
Schon, aber ich sage nur das, was gesichert ist. Es gibt immer wieder Situationen, in denen ich Zeit benötige und das auch gegenüber den Medien so klarstelle. Es darf nicht passieren, dass Angehörige aus den Medien von einem tragischen Unfall, der ihre Liebsten betrifft, erfahren. Das bedeutet dann, dass ich Detailangaben zu einer verunglückten Person erst dann veröffentliche, wenn man Angehörige informiert hat. Zurück-haltung ist auch bei Strafverfahren angesagt, um polizeiliche Fahndungen oder Ermittlungen nicht zu -gefährden. Hier ist es wichtig, den Medienschaffenden zu erklären, weshalb man eben im Moment nicht mehr kommunizieren kann und will.
Man muss zumindest gut mit ihnen klarkommen können, was einen respektvollen Umgang mit einschliesst. Ich möchte hingegen betonen, dass die Zusammenarbeit in der Regel sehr gut funktioniert, auch wenn hier das Menschliche natürlich eine Rolle spielt. Die Medien haben aber ebenso ihre Aufgaben zu erfüllen wie wir -genauso.
Es ist der spannendste Job der Schweiz. Hier wird zwar, wie ich bereits betont habe, besonders kritisch beobachtet, was zugegebenermassen auch mal «nerven» kann. Man lernt aber jeden Tag dazu und es treibt darüber hinaus an, immer besser zu werden.